Wir wissen, wer wir sind, wenn wir sehen, was wir haben – eine Idee, die vom französischen Philosophen Jean-Paul Sartre geprägt wurde. Moderne Vermarkter, Anthropologen, Psychologen und Soziologen, die sich mit Eigentum und Identität befassen, kommen zu demselben Schluss: Wir finden uns in den Dingen um uns herum wieder.
Das hat weniger mit Wohlstandsdenken oder "Luxusproblemen" zu tun, sondern offenbart ein tief in uns verwurzeltes Bedürfnis: Nämlich Erinnerungen, Werte und Erfahrungen in konkreten Objekten zu speichern, um sie vor dem Vergessen zu bewahren.
"Wer uns zuhause besucht, bemerkt sehr schnell eine große Anzahl Kristalle. Schöne Mineralien auf dem Klavier, Steine auf dem Kaminsims, im Eckschrank und auf dem Tisch. Jeder einzelne Stein ist eine Fundgrube unserer eigenen Autobiographie. Die Objekte erinnern uns daran, wer wir sind, wenn wir sie betrachten, wenn wir spüren was wir daran mögen und wohin sie uns schließlich geführt haben. Wir sind als Menschen vollständig, wenn uns die edlen Steine umgeben.", beschreibt Stephanie Dettmann die Philosophie Jean-Paul Sartres sehr bildlich.
Hygge, Mys & Lagom
Die populären Einrichtungstrends der letzten Jahre waren im Wesentlichen auf Reduktion ausgerichtet, die mit Sehnsuchtsworten wie hygge, mys oder schlimmstenfalls lagom
belegt wurden. Dass die trendig-skandinavischen Worte bloße Durchschnittlichkeit oder schlichtes Mittelmaß beschreiben, wissen ja die wenigsten. Da es aber so schön klingt, wurde gerade von
Minimalisten mit diesen Schlagworten ein Lossagen vom Dinglichen zum Motto umgedeutet, verbunden mit der Aufforderung, sich auch gleich vom Materiellen zu trennen - auf gut Deutsch, auszumisten.
Doch sollten wir uns das nochmal gründlich überlegen, denn unser Selbst existiert auch in (Wohn-)Objekten.
Gerade vor dem Hintergrund der neuen Trends im Interior Design, der mineralistische Stil
inklusive, sehen wir die vielfältigsten Weisen, sich mit den Dingen zu umgeben, die für uns die Welt bedeuten. Aufgeräumt, sortiert und cool oder intuitiv, wild und romantisch - aber immer sehr
persönlich.
Der ungarische Psychologe Mihály Csíkszentmihályi, der durch seine Arbeit an der Kalifornischen Claremont Graduate University mit zahlreichen Veröffentlichungen bekannt wurde, warnte regelrecht vor einem konsequenten Minimalismus. Unter der Überschrift „Warum brauchen wir Dinge“ schrieb er, dass die Persönlichkeiten in den Objekten ihrer Besitzer verkörpert sind. Sie binden uns an die Gegenwart, sind Erinnerungen an die Vergangenheit und Wegweiser in die Zukunft.
Neben der geistigen Auseinandersetzung wurde Kritik am Besitz auch durch künstlerische Aktionen geübt. Eine zweiwöchige Performance unter dem Namen "Break Down" war für den britischen Künstler Landy die Gelegenheit sein Selbst loszuwerden, damit er sich neu erfinden könne ... Er zerstörte genau 7227 Gegenstände aus seinem Besitz und löschte damit auch sein Selbstgefühl.
Dass es jedem von uns schwerfällt, sich von manchen Dingen zu lösen, wissen wir. Wir überraschen uns selbst sicher mal mit dem Gedanken "Das braucht doch kein Mensch!" Dabei ist es genau das, was wir sehen möchten und was gesammelte Dinge zu einem bedeutenden Teil von uns selbst macht. Symbolhaft drücken wir damit Träume und Ziele aus.
Die Studie des Anthropologen D. Miller kam sogar zu folgendem, sehr bedenkenswertem Ergebnis: "Je enger unsere Beziehung zu Objekten, desto enger unsere Beziehung zu Menschen". Miller berichtete unter anderem von einem Mann, der nichts besaß, der nur mit einem absoluten Minimum gespendeter Möbel und Kleidung lebte und dem darüber "der Sinn für die eigenen Grenzen und das eigene Maß abhanden gekommen war...". Die Studie stützt damit die These, dass Objekte uns erden, uns einen stabilen Rahmen geben.
Das Selbst erfährt eine Vervollkommnung durch die Dinge, die wir mit Liebe in unsere Lebensbereiche einbeziehen. Überflüssigen Tüddelkram gibt es nicht, sondern immer einen Mehrwert für uns und unsere Freunde.
Es können kleine Kieselsteine vom Strand sein, die ihren Ehrenplatz auf der Fensterbank erhalten, es können Felsbrocken aus dem Steinbruch unserer Kindheit sein, welche jetzt den Hauseingang zieren, es können außergewöhnliche Mineralien sein, die wir über viele Jahre gesammelt und als Wohndekoration und Stilmittel in unserem Interieur zum Ausdruck unserer Selbst platziert haben: Jeder Stein ist ein Teil von uns.
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